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Demokratie am Abgrund? Probleme, Verantwortung und Lösungen im digitalen Zeitalter 

Hybrid-Event am 06.12.2022

Das System "Demokratie" wird zunehmend in Frage gestellt - nicht nur von Autokratien, sondern auch von verunsicherten Bürgern. Bei der Lösung aktueller Probleme und deren Umsetzung scheint es oft zu haken oder an Verbindlichkeit zu mangeln - mit der Folge, dass dringend notwendige Ergebnisse zum Teil ausbleiben und das Vertrauen in die demokratischen Prozesse sinkt. Was bedeutet die digitale Transformation - von digitalen Medien über KI-gestützte Entscheidungen, bis hin zur Automatisierung und damit dem Wegfall bestehender Arbeitsplätze - für unsere Demokratie? Könnte Technologie helfen, unsere demokratische Ordnung weiterzuentwickeln, um regionale und globale Probleme rechtzeitig, nachhaltig und vor allem wirksam zu lösen?

Programm 

Demokratie und Technologie in der EU Politik

Paul Nemitz
Directorate-General for Justice and Consumers, European Commission, Mitglied der Datenethikkommission der Bundesregierung, Autor von „Prinzip Mensch - Macht, Freiheit und Demokratie im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz", gemeinsam mit Matthias Pfeffer

Ethics & Democracy by Design - wie die demokratische Idee überleben kann

Matthias Pfeffer
Philosoph, TV-Journalist, ehem. Chefredakteur von Focus TV, Autor u.a. von "Menschliches Denken und Künstliche Intelligenz"

Moderation

Vinzent Ellissen
Vorstand Junger Wirtschaftsbeirat

Deckblatt - Demokratie am Abgrund

Takeaways 

Paul Nemitz 

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Voraussetzungen für eine funktionierende Demokratie 

  • "The way must be open for change"
    Ein friedlicher Machtwechsel von einer Regierung zur Nächsten ist ein wichtiger Bestandteil der Demokratie.
  • Bürgerschaftliches Engagement erhöhen
    Demokratie braucht bürgerschaftliches Engagement in Form von gemeinsamen menschlichen Handeln, z.B. durch aktive Beteiligung in der Kirche, in Gewerkschaften, in der Zivilgesellschaft oder an der politischen Meinungsbildung.
  • "Terrierfähigkeit" ausbauen
    Die Fähigkeit, sich an etwas festzubeißen und nicht mehr loszulassen ist wichtig für eine Demokratie. Ähnlich wie wir von Programmierern erwarten, dass sie trotz Frustrationen an der Lösung eines Problems dranbleiben, müssen wir als Demokraten in Bezug auf Durchhaltevermögen und die Fähigkeit, Kontroversen auszuhalten, besser werden.
  • Demokratie braucht Wahlbeteiligung
    Momentan leidet die Demokratie in Deutschland und den meisten EU Mitgliedstaaten an einer Doppelschwäche. Die Kommunal- und Europawahlen werden zu wenig wahrgenommen und die Wahlbeteiligung ist geringer als bei der Wahl der nationalen Parlamente.
  • Piratenpartei stellte viele richtige Fragen
    Die Antworten sind jedoch noch nicht gut genug, z.B. konnte sich das Konzept der "Liquid Democracy" bislang nicht durchsetzen.

Auswirkungen von Technologie auf Demokratie 

  • In Autokratien erschweren Technologien den Weg zur Demokratie
    Mit modernen Technologien ist es leichter Menschen zu überwachen, die Formierung von Opposition früh zu erkennen und diese früh zu unterdrücken.
  • (De-)Aktivierung der Bürger durch Technologie
    Technologie kann oft, muss aber nicht immer die beste Lösung sein. Es gibt Anzeichen dafür, dass Technologie auf der einen Seite diejenigen stärkt, die vorher bereits demokratisch engagiert waren, allerdings auf der anderen Seite in der Breite eher zu einer Deaktivierung (Slacktivism oder auch Sofa-Aktivismus) führt.
  • Demokratische Entscheidungen brauchen Zeit
    In einer Gesellschaft der Klicks und der sofortigen Bedienung von Wünschen kann es helfen, wenn wir unsere Erwartungshaltung an die Demokratie justieren. Beteiligung bedeutet, Zeit aufzuwenden und zuzuhören. Im Unterschied zu Entscheidungen in Unternehmen kann die demokratische Meinungsbildung durch Technologie möglicherweise nur geringfügiger beschleunigt werden.

Maßnahmen, um die Demokratie zu stärken 

  • Explizite Politik der EU für Demokratie
    Da die EU als Wirtschaftsgemeinschaft begann, ist die Demokratiepolitik auf EU-Ebene noch recht jung. Die Demokratiepolitik begann im Wesentlichen mit der Einführung der Grundrechte Charta in 2009.
  • Aktionsplan der EU für Demokratie
    Die Arbeit der EU ist zusammengefasst unter dem Europäischen Aktionsplan für Demokratie der u.a. Folgendes umfasst:
    • Transparenz über Wahlwerbung (geplant)
      Bessere Übersicht über das, was eine Partei sagt und wie die Werbung finanziert wird. Einführung ist vor der Europawahl im Juni 2024 geplant.
    • Finanzierung von Autokraten offenlegen (geplant)
      Geldflüsse von Autokraten zu Parteien, Presse oder Universitäten transparenter machen.
    • Digital Service Act (erfolgt)
      Ziel ist die Regulierung von Plattformen wie Facebook, Apple, Amazon, Google. Beispiele:
      • keine Selbstpräferenzierung (handeltreibenden Plattformen)
      • Berücksichtigung demokratischer Grundsätze (meinungsbildende Plattformen)
  • Transatlantisch einheitliche Regulierung wünschenswert
    Obwohl in den USA gleichermaßen wie in Europa viel Kritik an den großen Plattformen geübt wird, entstehen in den USA fragmentierte Regulierungen einzelner Bundesstaaten. Europa nimmt hier aktuell die Vorreiterrolle ein.
  • Verbot profilbasierter Werbung
    Um Manipulation der Bevölkerungen zu erschweren und den Markt für demokratie-freundliche Algorithmen zu öffnen, gibt es die Idee, profilbasierte Werbung dienen.

Matthias Pfeffer 

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Risiken von Technologie für die Demokratie 

  • Öffentliche Meinung als Schwachstelle der Demokratie
    Die Feinde der Demokratie haben die Macht hochentwickelter digitaler Technologie nicht nur erkannt, sondern wissen diese auch einzusetzen, um Demokratien in ihrer Schwachstelle, der öffentlichen Meinung und deren Anfälligkeit für Manipulation und Lügen anzugreifen.
  • Erfolg von Desinformation gestützt durch aktuelle Algorithmen der Plattformen
    Algorithmen, die im Sinne des Profits darauf optimiert sind Aufmerksamkeit zu gewinnen und möglichst lange zu erhalten, verbreiten Desinformation schneller als Fakten. Sie tragen in der weitgehend unregulierten Cyberspace-Öffentlichkeit zu wachsenden Populismus bei. Sie nutzen gezielt den Einsatz von Emotionen ohne Berücksichtigung von Wahrheit.
  • Digitale Medien spalten Öffentlichkeit
    Digitalisierte Kommunikation fördert zunächst Entgrenzung. Jeder kann mit jedem kommunizieren. Dies bedeutet dann aber auch Fragmentierung und Aufspaltung der Öffentlichkeit.
  • Gemeinsame Öffentlichkeit unerlässlich
    Eine gemeinsame Öffentlichkeit ist eine unersetzliche Voraussetzung für die Demokratie, weil sie Transparenz über öffentliche Angelegenheiten herstellt, als Orientierung für die Bürger dient und zu einer gegenseitigen Rechtfertigung von Themen und Beiträgen verpflichtet.
  • Ziel der Aufmerksamkeitsökonomie ist nicht die Stärkung der Demokratie
    Die Ökonomie um die Aufmerksamkeit der Nutzer hat v.a. zwei Ziele:
    • Umsatz erzielen, z.B. Werbung auf Social Media
    • Gefolgschaft erlangen z.B. für politische Ideen.

(Des-)Information als Waffe 

  • Vorstellung von Wahrheit zerstören
    Desinformation kann nicht nur das Ziel haben, die Glaubwürdigkeit einer Person oder einer Meinung zu beschädigen, sondern kann zudem das noch viel breitere Ziel verfolgen, jegliche Vorstellung von Wahrheit überhaupt zu zerstören.
  • Desinformation als Werkzeug für Machtverschiebung
    Desinformation funktioniert als Manipulationsstrategie, indem Unsicherheit in der Gesellschaft geschürt, die Gesellschaft dadurch in Gruppen aufgespalten und parallel die Legitimation demokratischer Institutionen unterminiert wird. Ziel des Manipulators kann es sein, möglichst im Windschatten des angerichteten Chaos die Macht zu erobern.

Technologie im Sinne der Demokratie 

  • Digitale Souveränität durch Gestaltung mit demokratischen Regeln
    Digitale Souveränität ist möglich, indem wir den digitalen Raum nach demokratischen Regeln gestalten. Regulierung alleine reicht dafür nicht aus, z.B. Netzwerkdurchsetzungsgesetz oder Digital Services Act. Ziel ist es, die Digitalisierung zu formen, statt von ihr deformiert zu werden.
  • Resilientere Öffentlichkeit für Meinungsbildung auf geprüften Fakten
    Europa sollte mehr Anstrengungen leisten, eine widerstandsfähige Öffentlichkeit zu errichten und zu sichern, in der sich alle Bürger in einem freien Diskurs und auf der Basis geprüfter Fakten Meinungen bilden können.
  • Gemeinsamen Interpretationskern
    Es ist eine wesentliche Aufgabe der Medien, einen gemeinsamen und anerkannten Kern an Wahrheiten zu schaffen, um Interpretation und Meinungsbildung zu unterstützen.
  • Länderübergreifende Meinungsbildung über Europäische Streaming-Platform
    Ein Vorschlag: Gemeinsame europäische TV-Streaming-Plattform, die alle Nachrichtensendungen und Dokumentationen der öffentlichen und privaten Fernsehsender in den 27 Mitgliedstaaten der EU für alle Bürger zugänglich macht.
    • Sprachbarrieren werden mit Hilfe von KI-gestützter Übersetzung überwunden.
    • Vorschlagsalgorithmen werden ausgelegt auf Vielfalt und Inspiration, statt auf Radikalisierung und Fragmentierung.

Unsere Rolle als Europäer 

  • Demokratisches Europa nur mit demokratischer Öffentlichkeit
    Eine europäische Demokratie kann es auf Dauer nicht geben ohne eine demokratische Öffentlichkeit. Schaffen wir sie nicht, wird es kein dauerhaft demokratisches Europa geben.
  • Europa verpflichtet zu Verständigung
    Als Europäer haben wir keine Alternative, als uns zu verstehen - wir sind gerade in Europa zu wechselseitigen Verständigung verurteilt. Die Identität Europas ist das Erkennen der Gemeinsamkeit im anders sein.

Überlegungen, Ideen & Fragen 

Entsprungen u.a. aus der Vorbereitung und der Diskussion während der Veranstaltung.

  • Demokratie als Garant individueller Freiheit
    Sie gewährleistet eine offene Gesellschaft, in der beste Lösungen zu neuen Problemen am schnellsten gefunden werden. Das ökonomische Argument für Demokratie ist ggf. schwächer geworden.
  • Wahrheit als Grundlage des mündigen Bürgers und damit der Demokratie
    Presse und Wissenschaft sollten als "Wahrheitsinstanzen" für den Bürger dienen. Neue Formen von "Tech Accountability Journalismus" (Journalismus + Tech, Beispiel: themarkup.org ) könnten einen Beitrag dazu leisten.
    Frage: Wie könnten wir etwas dieser Art - an transparenten Zielen gemessen und nachhaltig finanziert - auch in Europa aufbauen?
  • Kritisches Denken als Wesen der Demokratie
    Demokratie besteht aus Diversität und Diversität wiederum beinhaltet unterschiedliche Meinungen und "Ansichten auf die Wahrheit". Meinungen zu hinterfragen ist essentiell für die Demokratie, eine "redaktionelle Gesellschaft" (Bernhard Pörksen) ist vermutlich wünschenswert.
    Frage: Wie können wir uns wieder mehr zu einer Gesellschaft entwickeln, in der Kritik frei geäußert und gleichzeitig auch Kritik ausgehalten werden kann?
  • Der Begriff "Narrativ" schadet der Demokratie
    Narrative können den Anschein erwecken, dass es Wahrheit nicht gibt und alles nur konstruiert ist.
    Frage: Wie können wir unsere Meinungsbildung bei relevanten Themen weniger von Narrativen beeinflussen lassen und mehr von Meinungen und Fakten, die klar voneinander abgegrenzt sind?
  • Inhalte & Werbung basierend auf Vorverhalten ggf. problematisch für Demokratie
    Durch Profile wird "targeted Advertisement" verkauft. Eine konsistente Grenze zur Manipulation der Meinung in relevanten Themen ist schwer zu ziehen. Ein Wettbewerb der Algorithmen ist kaum möglich, da Plattformen die Datenhoheit haben.
    Frage: Wie könnte man die Systeme umbauen, damit Plattformen weiterhin ein gutes Nutzererlebnis anbieten können und gleichzeitig mehr Transparenz und Wettbewerb bei den Algorithmen entstehen, z.B. für das Vorschlagen von Inhalten?
  • Funktionierende Medien sind essentiell für eine Demokratie
    Die Funktionsfähigkeit unserer Presse als Mediatoren des öffentlichen Raumes ist in Gefahr. Ein Großteil der Finanzmittel hat sich auf Google und Facebook verlagert. Stellen werden abgebaut, teilweise unterwerfen sich die Medien ebenfalls der Aufmerksamkeitsökonomie. Geltendes Recht bevorzugt teilweise ausländische Konzerne gegenüber nationalen Medien.
    Frage: Wie können wir sicherstellen, dass kritische Medien, deren Ziel eine vertrauensvolle und resiliente Demokratie ist, auch in Zukunft finanziert werden?
  • Bildung ist zentrale Säule der Demokratie
    Neben dem kritischen Denken, der Kritikfähigkeit und der Konzentrationsfähigkeit, um Themen zu durchdringen, werden digitale Kompetenzen für einen mündigen Bürger immer wichtiger. Die notwendigen Reformen unserer Bildungssysteme erscheinen in der Praxis zu langsam. Ergänzend zu bildungspolitischen Rahmenbedingungen braucht es ggf. seitens der Politik weitere Maßnahmen, um den Einfluss von Plattformen auf Kinder, aber auch auf Erwachsene, zu mäßigen.
    Frage: Wie können wir unsere Bildung kontinuierlicher und agiler den neuen Herausforderungen anpassen (Beispiel: "digital literacy", demokratische Grundfertigkeiten) und damit ein noch besseres Fundament für eine langfristige und resiliente Demokratie formen?
  • Gewaltenteilung als Wesen der Demokratie
    Aufteilung der Macht schafft Verbindlichkeit. Sie ist für eine Demokratie unerlässlich.
    Frage: Wie können wir noch besser sicherstellen, dass die Gewaltenteilung bestmöglich funktioniert und gleichzeitig die Ämter mit top Personen besetzt werden?

Impressionen 

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