Globale Risiken 2023 - worauf sich Wirtschaft und Politik einstellen sollten und wie sie sich vorbereiten können
Hybrid-Event am 15.12.2022
In immer kürzeren Intervallen und höherer Intensität erschüttern Krisen unsere Gesellschaft und Unternehmen - ein Abklingen der Krisen ist nicht in Sicht. Die Welt befindet sich im Umbruch - und die bisher geltenden Prinzipien werden in Frage gestellt. Sind wir auf globale Risiken ausreichend vorbereitet - im Jetzt und in der Zukunft? Wie werden sich Risiken und Krisen verändern? Und wie können sich Unternehmen und Politik besser vorbereiten, um Krisen widerstandsfähiger und flexibler zu meistern?
Programm
Impuls: Umgang mit globalen Risiken als unternehmerischer Erfolgsfaktor
Dr. Timo Blenk
Geschäftsführer Agora Strategy Group AG
Interview mit anschließender Diskussion
Moderation: Vinzent Ellissen
Vorstand Junger Wirtschaftsbeirat
Takeaways
Unsere Takeaways aus dem Impuls und der Diskussion.
Dr. Timo Blenk
Geopolitische Trends
- Mehr Bewusstsein für zunehmende geopolitische Risiken
Über die letzten 20 Jahre haben Häufigkeit und Ausmaß geopolitischer Risiken zugenommen. Gleichzeitig priorisieren Unternehmen geopolitische Risiken höher. Die russische Invasion hat diesen Trend weiter gestärkt. - Hyman Minsky Effekt in der Geopolitik
Anhaltende Zeiten der Stabilität führen dazu, dass das Risikobewusstsein abnimmt und Grundannahmen nicht mehr kritisch hinterfragt werden. Als Folge davon können Klumpenrisiken entstehen. Treten diese ein, kann es zu "Disruptive Change" und damit zu radikalen Veränderungen kommen, die für eine Gesellschaft schwerer abzufedern sind. - Mehr wirtschaftliche Sanktionen
Die Anzahl Sanktionen hat sich in den letzten 10 Jahren teilweise vervierfacht, im letzten Jahr haben diese vor allem im Energiesektor zugenommen. - Einfluss von Geopolitik auf Handels- und Finanzströme
Für Politik und Unternehmen gewinnen langfristige geopolitische Erwägungen zunehmend an Bedeutung gegenüber kurzfristigen wirtschaftlichen Zielen. Solche Erwägungen spiegeln sich meist in Entscheidungen zu Offshoring, Onshoring (Near-/ Friendshoring) wider. - Vermehrte Blockbildung ist riskant
Sollte es zu eine Fragmentierung in Staatenblöcke kommen, z.B. durch eine steigende Rivalität um Ressourcen, würde das laut UN-Angaben zu starken Rückgängen im Welthandel führen und damit zum Verlust von Wirtschaftskraft.
Asien
- Abhängigkeit von Asien wegen relevanter Wertschöpfung
Ein maßgeblicher Teil der Wertschöpfungsketten verschiedener Produkte befindet sich heute in Asien. Dazu gehören neben der "verlängerten Werkbank" auch immer mehr Hightech-Produkte. - Konfliktpotential in der Arktis und Antarktis
An diesen Orten wird sich strategisch entscheiden, welche Länder als Partner für den Handel mit Rohstoffen zukünftig an Bedeutung gewinnen werden. - Handelswege durch starke Marine schützen
Für das Unterbrechen oder Schützen von weltweiten Handelswegen ist eine starke Marine essentiell. Beispiele von kritischen Handelswegen: Straße von Hormus (ca. 38 km breit) für den Bezug von Flüssiggas von Katar, Straße von Taiwan. China investiert bereits viel in die militärischen Fähigkeiten der eigenen Marine. - Deutschland, Japan und China
Das Verhältnis von Deutschland zu Japan beeinflusst maßgeblich auch das Verhältnis von Deutschland zu China. Beispiel: Je besser das Verhältnis zwischen Deutschland und Japan ist, desto herausfordernder ist vermutlich das Verhältnis von Deutschland und China.
China
- China baut Zugriff auf metallische Rohstoffe strategisch aus
Während in Europa und Deutschland die Diskussion über eine Strategie für kritische Rohstoffe erst startet, setzt China schon seit 2002 ihre Strategie um, sich Zugriff und Handel zu sichern. - China dominiert Rohstoffveredelung
In Europa und Deutschland sind Kompetenzen zur Rohstoffveredelung kaum vorhanden. Selbst wenn Rohstoffe bezogen werden können, bestehen dennoch Risiken in der Lieferkette durch die Abhängigkeit von China. - China steht vor großen internen Herausforderungen
Flügelstreit innerhalb der kommunistischen Partei, geringeres Wachstum im Vergleich zu den Vorjahren, Arbeitslosigkeit bei den unter 30 Jährigen stagniert auf hohem Niveau, geschwächter Versicherungs- und Finanzsektor, gestörte Fertigung durch Null-Covid-Strategie. - Deutsche China-Strategie erfordert Vorsorge von Unternehmen
- Wurde als "Non-Paper" von dem Außenministerium der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, ca. 60 Seiten.
- China wird zunehmend kritischer betrachtet - als Partner und als Rivale.
- Deckt sich mit dem Strategischen Kompass der Europäischen Union.
- Unternehmen können vorsorgen, indem sie z.B. Lieferketten diversifizieren, geistiges Eigentum schützen, Umsatz mit anderen Ländern ausbalancieren, sich auf Rohstoff- oder Produktengpässe vorbereiten.
Mögliche Ableitungen
- "Es dreht sich nicht um Europa"
Ein großer Teil der Weltbevölkerung steht nicht uneingeschränkt mit Europa, z.B. bei UN-Abstimmungen in Bezug auf den Ukraine-Konflikt. - Wirtschaftsumfeld wird unruhiger
Je flexibler die Unternehmen, desto besser sind sie für die kommenden Jahren aufgestellt. Hohe Abhängigkeiten im Import oder Export erhöhen das Risiko. Risiken können auch tiefer der Lieferketten versteckt bestehen, z.B. bei 2nd, 3rd, 4th Tier Lieferanten. - Unternehmen als Druckmittel
Um die wirtschaftliche Abhängigkeit anderer Staaten zu politischen Zwecken zu nutzen, bringen einige Staaten gezielt Schlüsselunternehmen in ihren Wirkungsbereich z.B. Gazprom. Auch Techunternehmen, die Standards setzen ("Battle of Norms"), können als Schlüsselunternehmen angesehen werden. Deutschlands normierender Einfluss nimmt ab z.B. Industrienormen, Normen für KI, Normen für Weltraumtechnik. - Rohstoffe als Druckmittel
Russland und Algerien sind Beispiele dafür, wie Rohstoffe als Druckmittel gegen andere Staaten eingesetzt werden können. Regierungen werden weiter dazu tendieren, Abhängigkeiten bei Rohstoffen zu schaffen, um ihren Einfluss zu sichern. - Klumpenrisiken im Offshoring bedenken
Dazu gehört, dass Teile der Wertschöpfungskette, die besonders wichtig sind, z.B. entscheidende Fertigungsschritte, Know How, Arbeitskräfte möglichst ins eigene Land oder zumindest ins Near- oder Friendshoring überführt werden.
Beispiele: Software in Europa hosten, um bei einer Verstaatlichung von Firmen im Ausland Kontrollfunktionen zu behalten (da Software nicht so einfach repliziert werden kann). - Cyber Risiken nehmen zu
Sowohl für die Kritische Infrastruktur als auch für Unternehmen wird es immer wichtiger, sich gut auf Cyberangriffe vorzubereiten.
Diskussion
- Seltene Erden auch ausreichend in anderen Ländern vorhanden
Frühzeitige Diversifizierung und Aufbau von Sourcing-Fähigkeiten ist hier der Schlüssel. Dual-Sourcing als Strategie ggf. sinnvoll. - Sourcing-Strategie personenabhängig
Ob ein Unternehmen eine effektive Sourcing-Strategie hat, hängt vor allem von Einzelpersonen und weniger von der Größe oder der Industrie ab. Das tatsächliche Problem von Lieferausfällen lässt sich nicht durch Verträge, sondern nur durch faktische Maßnahmen lösen - das erfordert oft eine Änderung des "Mindsets" im Management. - Produktionsarchitektur ist wichtig
Breites Sourcing ist nur dann wirksam, wenn die Produktion schnell von Lieferant A auf Lieferant B umgestellt werden kann. - Zugriff auf Chips bleibt entscheidend
Bei Chips kann grob unterschieden werden zwischen "normalen" und "High Performance" Chips. Erstere werden z.B. in Maschinen und Fahrzeugen eingesetzt. Aufgrund der geringen Margen ist die Produktion wirtschaftlich unattraktiv. High Performance Chips gelten als Enabler-Technologien im Hightech Bereich. Für globale Herausforderungen, wie z.B. die Energiewende und die Digitalisierung, ist der verlässliche Zugriff auf Halbleiter als Grundlage für die Chipherstellung entscheidend. - Zusammenarbeit mit Indien herausfordernd
Wirtschaftlich wird Indien an Bedeutung zunehmen. Die Entwicklung von Rechtsstaatlichkeit variiert stark von Bundesland zu Bundesland. Während die Infrastruktur marode ist, gibt es eine gut entwickelte Startupszene mit starker chinesischer Beteiligung. - Afrika als naheliegender Partner
Während China im asiatischen Raum und die USA im Pazifik und Südamerika starken Einfluss haben, könnte Afrika für die EU ein naheliegender Partner sein. Probleme mit Klimawandel, folglich zunehmender Binnenmigration und damit wachsender Gefahr für Sicherheit stellen jedoch erhebliche Herausforderungen dar. - China’s Macht in der Zukunft
Das Wohlstandsversprechen der kommunistischen Partei bröckelt. Strukturelle Probleme werden das Land in den nächsten Jahren ggf. lähmen. Der Umgang mit China wird für Deutschland schwieriger werden. Der Einfluss von China in globalen Gremien nimmt voraussichtlich zu. - Die EU wird strategischer
Die EU wandelt sich in kleinen Schritten von reaktivem zu strategischem Handeln. Der "Strategic Compass " ist ein Beispiel dafür. Andere Länder, v.a. China sind strategisch vsl. besser aufgestellt. - Macht der Zukunft
Grundlage ist eine belastbare Basis aus Bevölkerung, Ressourcen und Industrie. Macht erlangen Staaten, die in Schlüsseltechnologien allen anderen Staaten überlegen sind. Zu den Technologien gehören u.a. Weltraumtechnologie (Aerospace), Künstliche Intelligenz gestützt mit Quantum Computing, Zugriff auf Nahrungsmittel & Wasser in der Klimakrise (Food Security), Pharma, autarke Energieversorgung. - Wettbewerbsfähigkeit durch "Disruptive Change"
"Disruptive Change", geprägt durch "radikales Um- und Neudenken" und den Willen, macht es möglich, auf die erforderliche Veränderungsgeschwindigkeit zu beschleunigen, z.B. Hyperloop aufbauen statt die Bahn zu sanieren. Neuen Staaten wie z.B. der Ukraine mit weniger "alten Fahrwassern" dürfte dies leichter fallen.
Überlegungen, Ideen & Fragen
Könnte es sein, dass wir unser eigenes "größtes Risiko" sind? Was könnten wir tun?
- Strategischer & proaktiver gestalten
statt kurzfristig auf externe Einflüsse zu reagieren und "Feuer zu löschen". - Ambitionierter & schneller umsetzen
statt aus Bequemlichkeit zu ignorieren oder zu verzögern. - Systematischer & verbindlicher handeln
statt das Gefühl von Vertrauen und Verlässlichkeit bei Partnern zu gefährden.
Impressionen
